Medizin

Wie Abnehmspritzen auch Alkoholikern helfen

Alkoholkranke Menschen trinken durch Semaglutid und Co weniger

Symbolbild für zwei sogenannte Abnehmspritzen
Wirkstoffe wie Semaglutid und Liraglutid helfen nicht nur bei Diabetes und beim Abenehmen, sondern reduzieren auch das Risiko, wegen Alkoholmissbrauchs im Krankenhaus zu landen. © aprott / iStock

Nützliche Nebenwirkung: Die Medikamente Semaglutid und Liraglutid – besser bekannt als „Abnehmspritzen“ – wurden eigentlich zur Behandlung von Diabetes entwickelt, werden aber inzwischen auch gegen Fettleibigkeit eingesetzt. Nun zeigen neue Analysen, dass Alkoholiker, die diese Wirkstoffe nehmen, weniger Alkohol trinken und seltener im Krankenhaus landen – sei es wegen Alkohol- oder Drogenmissbrauchs oder einer anderen akuten Erkrankung. Das legt nahe, dass die Abnehmspritzen mehr Funktionen haben als die, für die sie zugelassen sind.

Für Menschen, die unter einer Alkohol- oder Drogenabhängigkeit leiden, gibt es neben Psychotherapien auch verschiedene Arzneimittel. Viele Suchtkranke wollen oder können sich jedoch nicht behandeln lassen. Denn die Medikamente sind nicht für alle Patienten mit Alkohol- oder Substanzkonsumstörungen wirksam oder geeignet.

Eine Abhilfe könnten hier möglicherweise die aktuell als „Abnehmspritzen“ bekannten Medikamente Semaglutid und Liraglutid sein. Diese sogenannten GLP-1-Agonisten binden an den GLP-1-Rezeptor und sorgen so dafür, dass mehr Insulin und weniger Glucagon ausgeschüttet wird. Das hilft, den Blutzuckerspiegel zu regulieren und daher bei Diabetes und beim Abnehmen. Darüber hinaus könnte es auch bei Alkoholsucht helfen.

Nebenwirkung Abstinenz?

Denn erste Studien an Tieren und Menschen haben gezeigt, dass GLP-1-Agonisten bei Patienten den Konsum von Alkohol und anderen Substanzen deutlich reduzieren. „Patienten berichten, dass sie weniger Alkohol trinken, seit sie ein Semaglutid-Medikament nehmen. Ähnliche Beobachtungen wurden auch von Wissenschaftlern auf internationalen Konferenzen hervorgehoben, sodass wir uns entschlossen haben, dies genauer zu untersuchen“, sagt Markku Lähteenvuo von der Universität Ostfinnland.

Dafür hat das Team um Lähteenvuo Gesundheitsdaten aus einem schwedischen Patientenregister von mehr als 220.000 Personen analysiert, bei denen zwischen 2006 und 2021 eine Alkoholkonsumstörung diagnostiziert worden war. Die Forscher prüften, welche Medikamente diese Patienten zwischen 2006 und 2023 nahmen und wie oft sie in dieser Zeit im Krankenhaus behandelt wurden.

Semaglutid und Co helfen besser als herkömmliche Medikamente

Das Ergebnis: Von den alkoholkranken Studienteilnehmern nahmen zeitweise 4.321 Semaglutid und 2.509 Liraglutid ein – entweder zur Behandlung von Fettleibigkeit oder Typ-2-Diabetes. Diese Personen landeten als Nebenwirkung dann deutlich seltener wegen Alkohol- oder Drogenmissbrauchs im Krankenhaus als zu Zeiten, in denen die Studienteilnehmer keine dieser Abnehmspritzen erhielten. Semaglutid war dabei mit einem um 36 beziehungsweise 32 Prozent geringeren Risiko für einen Krankenhausaufenthalt wegen Alkohol- oder Drogenkonsums verbunden. Bei Liraglutid sanken diese Risiken um 28 beziehungsweise 22 Prozent.

Damit senken die beiden Abnehmspritzen das Risiko für eine alkoholbedingte Krankenhausbehandlung jeweils stärker als die offiziell für Alkoholkonsumstörungen (AUD) zugelassenen Medikamente. Naltrexon beispielsweise, das wirksamste unter diesen Alkoholiker-Arzneimitteln, war „nur“ mit einem um 14 Prozent geringeren Risiko für einen Krankenhausaufenthalt aufgrund von Alkohol- und Substanzkonsum verbunden.

Darüber hinaus wurden die Studienteilnehmer, die eines dieser Präparate nahmen, auch seltener wegen anderer körperlicher Erkrankungen im Krankenhaus behandelt, wie die Auswertung zeigt. Bei Semaglutid sank das Risiko für einen solchen Klinikaufenthalt um 22 Prozent, bei Liraglutid um 21 Prozent und bei offiziellen AUD-Medikamenten immerhin um 15 Prozent. Im Gegensatz zu den AUD-Präparaten erhöhten die beiden GLP-1-Agonisten hingegen nicht das Risiko für Suizide.

Weiterer Nutzen der Abnehmspritzen belegt?

Diese Befunde legen nahe, dass die Abnehmspritzen mehr nützliche Funktionen haben als die, für die sie bisher zugelassen sind. „Unsere Studie deutet darauf hin, dass GLP-1-Agonisten neben Fettleibigkeit und Diabetes auch bei der Behandlung von Alkohol- und Substanzkonsumstörungen helfen können“, sagt Lähteenvuo. Zum selben Schluss kommt eine ähnliche, kürzlich veröffentlichte große Patientenstudie aus den USA, wonach GLP-1-Agonisten das Risiko für Alkoholvergiftungen um die Hälfte senken.

„Diese Ergebnisse müssen jedoch in randomisierten kontrollierten Studien weiter validiert werden“, betont Lähteenvuo. Bevor Semaglutid und Co auch für Alkoholiker oder andere Suchtkranke zugelassen werden, sind demnach noch klinische Studien nötig, um die Ergebnisse zu bestätigen.

Warum die GLP-1-Agonisten den Alkoholkonsum senken, ist noch unklar. Ebenso, ob es überhaupt einen kausalen Zusammenhang gibt. Bekannt ist lediglich, dass genetische Variationen im GLP-1-Rezeptor mit einem erhöhten Risiko für Alkoholmissbrauch verbunden sind. (JAMA Psychiatry, 2024; doi: 10.1001/jamapsychiatry.2024.3599; Addiction, 2024; doi: 10.1111/add.16679)

Quelle: Universität Ostfinnland

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